Selbiges Gespräch ging dann über andere Themen weiter. Nicht mehr relevant, aber quoteable.
L. : duuuu?
Phae: jaaa?
L. : wie geht man richtig mit männern um?
Phae: Uff
L. : ich weiß
Phae: Ich find diesen Lebensentwurf ganz sinnvoll, mit ner Menge anderer Frauen auf eine Insel zu ziehen und da zu bleiben...
Eigentlich wollte ich noch einen kleinen Bericht über das Konzert gestern Abend schreiben. Aber das ist gerade unnötig geworden, ich kopier einfach das Gespräch mit L., die mir die Karte geschenkt hat:
[13:39] L. : huhu :)
[13:39] Phae: Hallo :)
[13:40] Phae: Willste Berichterstattung für gestern Abend? ;)
[13:40] L. : jaaa
[13:40] Phae: *g* War sehr cool
[13:40] L. : :)
[13:41] L. : und jetzt hast du drei neue lieblingsbands? ;9
[13:41] Phae: hmm, zwei :)
[13:41] L. : welche?
[13:41] Phae: Eskobar machen nette Musik, aber sie haben das Prinzip des Abends nicht verstanden
[13:41] L. : ;)
[13:41] L. : das heißt?
[13:42] Phae: Naja, es hat ja der gewonnen, der am meisten das Haus gerockt hat
[13:42] Phae: Und Eskobar... kann man vielleicht gut zum Autofahren hören
[13:42] L. : na deswegen spiel ich ja nich gleich andere musik :)
[13:42] Phae: Nee, aber die hatten so einfach mal keine Chance
[13:42] Phae: Vielleicht wurden sie auch nur nicht gut ausgesucht
[13:42] Phae: Aber der Sänger sieht irgendwie nett aus ;)
[13:42] L. : hihi
[13:43] L. : jaja, die skandinavier wieder
[13:43] Phae: Ja, ist ja nichts neues
[13:43] L. : und, moneybrother gewonnen?
[13:43] Phae: Ja, klar
[13:43] Phae: Wobei die Konkurrenz hart war
[13:43] L. : :)
[13:43] Phae: Cinematics sind ja mal voll cool
[13:43] L. : echt?
[13:43] Phae: Aber hallo
[13:43] L. : cool
[13:43] L. : wusst ich nich
[13:43] Phae: Vor dem Sänger hab ich ein bisschen Angst
[13:43] L. : *g*
[13:43] Phae: Der sieht auch cool aus, aber er könnte verrückt sein
[13:43] Phae: Der hatte diese Donny Darkow Ausstrahlung
[13:43] L. : oha
[13:44] Phae: Und er hat als erstes gleich mal am Mikro vorbei ins Publikum gebrüllt
[13:44] Phae: Sah aber cool aus ^^
[13:44] Phae: Überhaupt sahen die cool aus
[13:44] Phae: Sehr schottisch - wie Privatschüler *g*
[13:44] L. : hehe
[13:45] Phae: ("Kunden, die früher Harry Potter gelesen haben, mögen heute..." ;) )
[13:45] L. : hihi
[13:45] Phae: Die sind auch mehr abgegangen, als der Moneybrother. Da war mehr los, fand ich
[13:46] Phae: Aber das kann auch sein, dass das war, weil da diese _furchtbaren_ Schüler hinter mir standen
[13:46] Phae: Die riesigen, bulligen Jungs wissen ja wenigstens, wie man richtig pogt - aber diese kleinen, ausgelassenen Mädchen sind tödlich
[13:47] Phae: und dann hatten die auch noch Papphüte auf und Tröten mit dabei gehabt, sehr dumme Sachen gesagt und die schlimmste Lache der Welt gehabt
[13:47] Phae: Irgendwann ist dann auch mal Schluss ;)
[13:47] L. : der mund muss dann mal zu sein
[13:47] Phae: Richtig
[13:47] Phae: Bei Moneybrother haben sie sich zum Glück weiter nach vorne gedrängelt
[13:48] Phae: Aber dann wars bei uns auch etwas langweilig - nur Wipper um mich rum, keine Hüpfer
[13:48] Phae: naja
[13:48] Phae: Dafür hat der mich dann echt überrascht. Ich dachte immer, joooar, der singt hoch und macht so harmlose, schöne Musik...
[13:48] Phae: und dann geht der so ab, mannometer
[13:49] L. : aber hallo, da is voll party
[13:49] Phae: Und er hatte einen sehr coolen Saxophonspieler und fast alle Jungs aus der Band mussten die Vocals singen und zwar scheiße hoch und sie sahen dabei oft sehr schmerzerfüllt aus. unser Tenor ist da ja mal gar nichts gegen :D
[13:50] Phae: Hihi, und ganz zu anfang, haben sie zu einem Refrain leise gemacht und das Mirko ins Publikum gehalten. Und KEINER hat den Text gekonnt. Das war echt witzig :D
[13:49] L. : hihihihi
[13:50] Phae: Und Bands, die ein Klavier dabei haben, haben für mich ja sowieso schon mal gewonnen ;)
[13:50] L. : na klar
[13:50] L. : och fein
Joar. Damit ist eigentlich alles gesagt.
Jetzt, wo ich so drüber nachdenke, kann ich mir nicht erklären, warum ich hier fast noch nie davon erzählt habe.
Dass S. der Farbenfreund damals gestorben ist, war ein bisschen komisch, denn eigentlich hatten wir die ganze Zeit Angst um das Leben von jemand anderen. Das klingt sehr dick aufgetragen aber ich kann mich noch daran erinnern, dass ich genau das zu einer Freundin gesagt habe. "Da machen wir uns monatelang Sorgen, dass M. sterben könnte und S. ist auf einmal tot."
M. war komisch, als sie zu uns kam. Sie war die ungewöhnliche Kombination aus schwarzer Kleidung und Make Up, einem Nasenpiercing und einem glockenhellen, fröhlichen Lachen, viel guter Laune und quriligem Rumgehüpfe. Ich glaube, meine Lieblingserinnerung an die Zeit davor war, als wir alle an einem Sommerabend vor dem Lieblingsclub gesessen haben und ihr Freund aufeinmal laut aufschrie, weil sie ihm in einem Anfall von Lebenslust in die Hand gebissen hatte. Glockenhelles Lachen erklang.
"Angst um das Leben von jemand anderem"; "an einem Sommerabend"; "Glockenhelles Lachen" - oh man. Aber ich hab meine traurige Musik angemacht, es wird nicht besser, glaub ich.
Es hat viel zu lange gedauert, bis wir was gemerkt haben. M. war verrückt und quirlig und Vegetarierin. Dann war sie Veganerin. Sie hat den ganzen Schultag damit verbracht, die kleinen weißen Hautfetzen von einer Mandarine abzuzupfen, bis sie irgendwann gegessen hat. Manchmal hat sie noch ein paar Stücke abgegeben. Mit vierzehn habe ich in Sugar und 16 all diese Berichte über Magersucht gelesen, mit 18 habe ich nichts verstanden. Wenn sie Veganerin sein wolle, müsste sie besser auf sich aufpassen, haben wir ihr gesagt. Sojamilch! Tofu! Dafür fehle ihr das Geld, hat sie geantwortet und wir haben ernsthaft überlegt, zusammenzulegen und ihr einen Präsentkorb mit veganischem Bioessen zu kaufen. Rührend und saublöd waren wir damals.
Irgendwann ist sie endlich ins Krankenhaus eingeliefert worden, da waren wir auch dumm und dachten, dass sie jetzt gesund werden muss. Und dann ist der S. gestorben, am Tag vor ihrem Geburtstag, wo wir sie alle besuchen wollten. "Da sieht man wieder mal, wie egoistisch Selbstmord doch ist"; hat Bree in der letzten Woche im Fernsehn gesagt und der Gute wird sich gefallen lassen müssen, dass sie hier zitiere.
In den nächsten Wochen habe ich viel gelernt. Fürs Abi natürlich, irgendwie ging es ja weiter. Aber ich habe auch gelernt, dass man Therapien abbrechen kann, dass man die Beutel mit dem Nährbrei auf dem Klo auskippen kann, dass man ganz viel Tee trinken kann, der die Nährstoffe wieder ausspühlt. Und dass das Wissen, mit dem man seinen Körper reduziert weit über den Möglichkeiten der Bewachung duch die Krankenschwestern so einer Abteilung für innere Medizin überwiegt, wo die ganz schweren Fälle, die man erst mal ein bisschen am Leben erhalten muss, hinkommen. Sollte ich je den Wunsch haben, selbst magersüchtig zu werden, muss ich mich gar nicht erst in diesen Internetforen belesen, ich weiß jetzt schon, wie es geht.
So weit so gut. Wir hatten Abi, M. hat überlebt. Und auch Abi gemacht, wie auch immer sie das hingekriegt hat. Wie die Geschichte ausgegangen ist, ist der wirklich krasse Teil. M. lebt. Sie studiert an der gleichen Universität im gleichen Semester wie ich. Sie wohnt in meiner Stadt, ein paar Straßen von hier entfernt. Wir haben Kontakt, wir sehen uns selten. Und jedes Mal sieht sie dünner aus. Wie sie es schafft, diesen Zustand seit drei Jahren aufrecht zu erhalten, jeden Morgen aufzustehen und irgendwie durch die Uni zu kommen, wie sie es schafft, auch noch einen Job anzunehmen - ohne Therapie, ohne Gesundungskarriere und mittlerweile fast ohne Freunde oder soziale Kontakte - das ist der Teil, den ich nicht verstehe. Ich wärhenddessen habe es geschafft, mich an den Gedanken zu gewöhnen, dass das Mädchen mit dem glockenhellen Lachen von damals nicht mehr mehr wird, dass sie irgendwann verschwunden sein könnte. Ich habe es nicht aufgegeben, an sie zu denken und nach ihr zu fragen, ihr zu schreiben, mich mit ihr zu verabreden und mich unter fadenscheinigen Ausreden von ihr versetzt zu werden. Aber ich habe es fast aufgegeben, nachts um sie zu weinen und fürchterliche Angst zu haben. Es wird wohl stimmen, dass man sich an alles gewöhnt.
Aber zwischen diesem und dem letzten Jahr habe ich den Fka zum ersten Mal wieder gesehen und länger mit ihm geredet. Und er hat mir erzählt, dass er nicht mehr kann, dass er kurz davor ist, aufzugeben. Es geht nicht mehr. Vor allem kann er nicht hart und erbarmungslos sein, er kann nicht über das reden, was in spitzen Knochen aus ihr heraus sticht und nicht zu übersehen ist. Das ist sehr schlimm denn der Fka und ich, wir sind alles, was ihr geblieben ist. Und ich habe in dieser Sache ein bisschen auf ihn und ihre sehr alte Freundschaft vertraut, womit ich es mir bestimmt zu einfach gemacht habe.
Ich erzähle das alles jetzt, weil ich M. gerade einen Brief geschrieben habe. Ich habe ihr geschrieben, dass ich nicht mehr damit umgehen kann, wie wir ihre Krankheit und ihre Probleme seit Jahren tabuisieren und über meine Probleme reden, wenn wir uns schreiben, aber nicht über ihre. Jetzt, wo ich weiß, dass der Fka - der sonst immer sehr gerne erbarmungslos ehrlich zu den Menschen war und seine Meinung in sehr unschönen Worten großzügig verteilte, es nicht kann, muss ich es wohl endlich tun. Ich habe eine Menge sehr harter und sehr ehrlicher Dinge geschrieben, ich habe Wörter wie "psychische Störung" und "Magersucht" benutzt und es ist ein bisschen schwierig, solche Briefe zuende zu schreiben und abzuschicken. Aber eben gerade hab ich es gemacht.