Wenn man Mails nicht im Mailprogramm schreibt, sondern in Word. Damit man sie auch wirklich nicht aus Versehen versenden kann, bevor sie ganz fertig sind. Was ich hier mache, ist gut und richtig. Auch für mich. Aber nicht ganz leicht...
Vor zwei Jahren war ich genau da, wo die Welt hingesehen hat. In Rostock zur Zeit des G8 Gipfels. Ich habe
hier davon erzählt, mich live vor Ort gefühlt und mit Interesse beobachtet. Die Wasserwerfer, die wütendenden Massen, die fliegenden Steine. Alles war aufregend, erschreckend und spannend.
Dieser Tage habe ich ein Déja-Vu. Ich bin in Straßburg und damit heute bei einem Spaziergang durch die Stadt an der Stelle vorbeigekommen, wo vor zwei Tagen Obama von Sarkozy samt dazugehörigen Gattinnen begrüßt worden ist. Und wieder: viel Aufregung, viel Polizei, Demonstrationen, Wasserwerfer, Feuer und Steine.
Ein paar Stunden lang immer wieder Anfragen von Freunden, ob es mir gut geht, sie sehen meine Stadt im Fernsehen gerade brennen. Wut auf den Straßen. Wer nicht auf die Nato schimpft, zürnt über die Beschneidung unserer demokratischen Rechte. An der Grenze rede ich mit einem deutschen Polizisten. Mit dem kann man reden, er spricht wie jemand, der viel nachdenkt. Und er hasst: Die Illegalen, die Autonomen. Die Nazis auch, aber nur ein bisschen. In einer Diktatur müsste er sich immerhin nicht von den Aufständigen mit Steinen bewerfen lassen. Ich schlucke viel und höre zu. Zum Schluss sagt er, er hofft, er habe "ein bisschen helfen können". Ja, danke.
Meine Gedanken sind nicht fertig. So viel Wut. Wo die Spitze unserer Regierungen zusammentrifft, entsteht Gewalt und Chaos, so groß die Energie der Protestierenden. Ich bleibe beim Beobachten und Parallelen finden, was Kluges dazu fällt mir nicht ein. Dafür aber immerhin ein paar dumme Sachen, die zu sagen und denken ich nun vermeiden weiß.
Und eines: Noch immer denke ich darüber nach, wohin ich nun soll. Auf der Brücke zwischen meinen beiden Ländern, inmitten von grünen und blauen Polizisten und mit ein einem ganzen Batzen bittersüßer Melancholie auf den Schultern hab ich es wieder gespürt: Da will ich bleiben. Gewaltmonopol, Modernemalaise, Gesellschaftskritik. Ich bin noch nicht so weit, die Soziologie hinter mir zu lassen.
Ich glaube, gerade bin ich malerisch. Es gibt da diesen Mond, und wie ich hier sitze, auf dem Balkon mit offenen Haaren und der Kapuze darüber, in den Laptop versunken: In meinem Kopf ist das schön.
In so einem Moment möchte man nicht nur lesen, sondern schreiben. Hier.
So richtig hab ich den Weg zurück zum Bloggen noch nicht gefunden. Das Exil wirkt nach. Es gibt andere, neue Kanäle in meinem Leben. Es gibt Gedanken, die werden so schnell es geht per Mail zu Freunden geschickt, einige reisen in Briefen, einige verpuffen auf Twitter. Das Wort "Bloggerin" hat noch immer Magie und ist noch das, was ich sein will, aber zu wenige Gedanken kommen hier noch an.
Vielleicht brauch ich noch Zeit, vielleicht kommt es von alleine zurück.
das wort für diesen tag, für diese zeit, für dieses gefühl.
Sie scheinen die harte Philosophie im Blut zu haben, die Franzosen. Hat mich X. letzte Woche noch überrumpelt, mit dem Gutem und dem Bösen, heute bin ich nur kurz sprachlos, als F. mich plötzlich anschaut und fragt: "Sag mal... glaubst Du eigentlich, dass Gott dich mag?"
Der Ort ist nicht der schlechteste. Wir sind in einer Kirche. Der Gospelchor hat bis eben noch gewaltig gegospelt und macht jetzt Pause, was F. Zeit für seine Frage gibt. Die Kirche ist schlicht und modern, vorne an der Wand zweimal Jesus auf Gemälden - als Baby und als gutaussehender Powerprophet mit nacktem Oberkörper.
"Naja... wenn überhaupt, dann doch wohl schon, oder?" entgegne ich und F. lacht. Wir diskutieren ein bisschen, vielleicht ein bisschen zu offen und unbeschwert für jedermanns Geschmack*, ein älterer Herr vor uns dreht sich um, mehrmals. Vielleicht aber freut er sich auch, dass auch junge Leute in der Kirche sind und über Religion diskutieren. Oder er schmeißt uns gleich raus, wenn F. noch einmal was sagt wie "Aber Jesus ist schon irgendwie netter als Gott, oder?"
Unterschiedliche Menschen und unterschiedliche Wohnungen haben ich an diesem Wochenende besucht. Unterschiedliche Welten. In der S-Bahn nach Hause war ich glücklich und in der Tram, in die ich umsteigen musste, habe ich noch jemanden kennengelernt. Es geht machmal so schnell. Ich mag sie, diese Stadt.
* Naja... aber was war denn das mit Hiob? - Okay, das war scheiße.
Wie schwer es mir auch einfach mal fällt, Leute einfach anzurufen, mit keinem Vorwand, außer dass ich gerne mit ihnen reden will. Oder mit jemandem.
"Das war toll, das machen wer jetzt öfter!" sagt sie, als sich mich drückt und in die Nacht hinausgeht. Sie ist der erste Mensch mit sächsischem Akzent, den ich mag. Ich hab eigentlich gehofft, dass die Menschen, die in diesem Teil der Welt meine Freunde werden, gänzlich andere Akzente haben, bin aber gut dabei, mich damit abzufinden. Und wenn sie französisch spricht, dann merkt man es ja auch gar nicht. Wichtig ist jetzt, in diesem Moment, in dem sie in die Nacht stapft nur, dass sie meine Freundin wird. Jetzt gerade. Eine richtige.
Anderswo ist jemand das schon sehr lange und trotzdem ist es nicht leicht. Ich glaube, ich habe eine Aufgabe, als Freund, ich werde gebraucht und es klappt aber nicht so richtig. Manchmal ist es so leicht, stundenlang zuzuhören und das richtige zu sagen, und manchmal... da will es nicht funktionieren. Das macht mich befangen, über Ländergrenzen hinweg.
Ich mag die Geschichte von L., einem der sozialkompetentesten Menschen die ich kenne. Eines Tages bekam L. eine Sms von ihrer Mitbewohnerin. "Es ist Schluss. Ich komme nach Hause. Es geht mir schlecht, aber ich will nicht reden". Sie haben nicht geredet. Aber als die Mitbewohnerin nach Hause kam, hatte L. die Wohnung geputzt, Blumen besorgt und sie fand ihr Bett frisch bezogen vor. L. hat ihren Wunsch respektiert, nichts zu sagen und hat trotzdem einen Weg gefunden, sie zu trösten und ihr ihr Mitgefühl zu zeigen.
Seit Tagen überlege ich, was ich tun könnte. Auf welche Weise kann ich das Bett von diesem Freund frisch beziehen?
Auf einer Parkbank in der Sonne hab ich X. kennengelernt.
(Es ist auf belustigende Weise lächerlich, seinen Namen nicht einfach auszuschreiben. Wie viele Vornamen beginnen schon mit einem X?)
Er hat mich erst um Feuer gebeten, dann um Wasser. Dann hat sich auch auf die Parkbank gesetzt und wir haben uns unterhalten.
X. ist ein - man sagt wohl Lebenskünstler. Jemand, der unstet zwischen den Städten hin und her reist, der ein paar Jahre in Paris, ein paar in London, in Lille, in Rennes, in Brüssel und was weiß ich, wo noch verbracht hat, der ein bisschen Kunst studiert, dann ein bisschen Philosophie, sich mit irgendwelchen Jobs durchschlägt. Den man beneidet, weil er frei ist und ungebunden, und mit dem man nicht tauschen will, weil er verloren wirkt, und wurzellos.
Das mit der Lebenskunst scheint X. nicht so gut hinzukriegen. Gleich zu Anfang erzählt er mir von seiner Kokainsucht. Ist jetzt aber vorbei, sagt er schnell. Jetzt ist er dafür alkoholabhängig. Den Beweis dafür hab ich die ganze Zeit in meiner Nase. Was zwischen dem Paper eingerollt ist, das er nebenbei raucht, frage ich gar nicht erst. Vielleicht nur Tabak.
Wir unterhalten uns. Das ist nicht ganz leicht, X. gestikuliert viel, redet zu seinen Füßen, verfällt mitunter in schnelles Murmeln. Dann verstehe ich ihn besonders schlecht, er hat das schon gemerkt und versucht es auf englisch. Das klappt vor allem deswegen besser, weil er so gezwungen ist, langsam zu sprechen.
Er erzählt mir von Nietzsche und breitet ein Theoriegebilde vor mir aus, dem ich nicht ganz folgen kann. Es geht um das Gute und das Böse, um tranzendente Macht und irgendwelchen Zusammenhängen von allem. "Und wie siehst du das?" Das trifft mich eiskalt, ich bin sprachlos und unfähig. Wie ich das sehe, mit dem Guten und dem Bösen? Woran ich glaube? Ich stottere, nichts fällt mir ein und wäre wahrscheinlich weniger verlegen, hätte er sich nach meiner Lieblingsstellung erkundigt. Zumindest schlagfertiger.
Ob ich mal ins Kino mit ihm gehen würde? Ohne Alkohol dann, ehrlich. Er gibt mir seine Mailadresse.
Als ich nach Hause will, kommt er ein Stück mit und trägt eine meiner Einkaufstüten. Wir gehen durch die Sonne, reden über Musik und über Lieblingstiere und auf einmal flutscht alles. Die Sprache, die Kommunikation, das Lachen, es ist ganz leicht. Als wären wir zwei Teenager, die sich schon lange kennen. Er ist auch neu in der Stadt und hat schon viele Freunde. Er fragt mich, wie es bei mir damit läuft. Nicht so. "Wie machst du das?", frage ich. "Wie lernst Du Menschen in einer fremden Stadt kennen?" Er sagt, er spricht einfach die an, die ihm gefallen. Er will es mir beibringen.
Jetzt sitze ich hier, mit dieser Mailadresse. Meine Mädchenalarmglocken klingeln ein bisschen. Eigentlich spielen Mädchen wie ich nicht mit den drogensüchtigen Landstreichern. Eigentlich sollte ich mir nette Freunde suchen, Studenten der Medizin oder Kommunikationswissenschaft, sehr ehrgeizig und sozial engagiert.
Was auf der anderen Seite steht, muss ich gar nicht aufzählen. Ich schreib ihm jetzt.
Well... The past is gone. I know that. The future... isn't here yet, whatever it's going to be. So, all there is is... is this. The present. That's it.
Das hat Bill Murray gerade in "Broken Flowers" erzählt. Das ist jetzt weder der Weisheit noch der Originalität letzter Schuss, aber es ist gerade sehr aktuell. This is it.
Vor wenigen Tagen habe ich in einer Bar gesessen, mit Einheimischen dieses schönen Landes, und den ganzen Abend kaum was verstanden. Ich weiß, ich muss - und das erweist sich als anstrengend - jetzt wieder einen Ort, also eigentlich die Menschen, suchen, wo ich hineinpasse. Vielleicht nicht unbedingt einen, wo ich von Anfang an dazugehöre, aber einen, wo ich dazu gehören kann, wo es passt, ohne dass man zu viel biegen und quetschen muss.
Der Vergangenheit hinterherzutrauern, wo es ziemlich gut gepasst hat, hilft da nicht. This is it. Now.
Es wird Frühling in Frankreich. Ich darf nicht vergessen, was daraus zu machen.