Memento
Das Leben hat so eine Art, die sich aber auch nur das Leben erlauben darf - jedem anderen würde man das übelnehmen.
Jetzt ist es schon mehr als zwei Jahre her - es war kurz nach den Osterferien, als wir nicht einfach nur Biologie hatten, sondern die Stimme der Lehrerin ganz tief war und alle wußten, dass was nicht stimmt, noch bevor das weinende Mädchen in die Klasse gekommen war. Wir standen nur am Rand von dem Krater die die Katastrophe in das Leben gerissen hatte, anders als für die Familie oder das schluchzende Mädchen hatten wir nicht viel verloren, nur einen der Akteure des täglichen Lebens. Die Katastrophe hatte uns die Haare versengt, wir haben die Hitze gespührt, vielleicht sind wir durch die Detonation etwas gestolpert - die Wucht des Aufpralls der Tragödie haben wir halt nicht abbekommen.
Deswegen musste es mehr als zwei Jahre dauern, auf einer Party, in einem Nebensatz fast, bis auch Nebenakteure wie ich die Frage beantwortet bekamen. Ist er gefallen oder gesprungen? "Ach der Typ", meint die Freundin aus einer anderen Stadt, einer anderen Welt, einem anderen Leben, als das Gespräch zu dem die Party längst geworden ist, auf den Tod kommt. Und erzählt, dass sie jemanden kennt, der da war. Der es gesehen hat. Gesehen, nicht gehört. Kein Schrei. Und er hat seinen einzigen Anzug getragen. Gesprungen, nicht gefallen.
Mich, vielleicht als einzige, hätte das überraschen sollen. Das ist ausgeblieben. Ausgeblieben ist auch eine wirkliche Reaktion auf die Frage, die zwei Jahre lang eine Art VIP Ausweis zu meinen Gedanken hatte. Das Rätsel ist gelöst und scheint nun gar nicht so viel zu bedeuten. Statt dessen ist mir aufgefallen, wie umbarmherzig, wie endgültig jemand verschwindet, der gestorben ist. Und wie sehr die Menschen Teil doch von uns sind. Er verschwindet, weil er nicht mehr da ist, weil seine Art, sein Humor, sein verschrobenes Stück Genie unwirklich sind, für die, die ihn nicht kennen. Irreal. Weil wir keine Freunde mehr waren, vielleicht nie gewesen sind. Wir waren nie ein Paar, wir haben nie unsere Freizeit geteilt, unsere Leben unsere Geheimnisse. Und deshalb fällt es den Menschen aus dem neuen Leben schwer, zu verstehen, wer da gestorben ist und warum das so wichtig ist und bleibt.
Wir waren zusammen darin, nicht dazuzugehören. In einer Zeit, in der unser Wort nichts galt, haben wir uns verstanden, wir haben zusammen gelacht und waren allen anderen ein Rätsel. Haben im Unterricht endlose Geschichten in Schreibhefte geschrieben, geduldig in unsere Hausaufgabenhefte gemalt und in skurrilen Wettbewerben den Inhalt unserer Federtaschen verglichen. Schon damals haben die Leute nicht begriffen, was wir füreinander waren - sogar die Lehrer hielten uns für ein Paar. Und dann fingen die anderen an, in ihm zu erkennen, was mich schon immer zu ihm gezogen hat, was mich die Finger in meiner Faust zu kreuzen verkrampfen lies, als die Lehrerin uns zusammensetzte. Yes! Was für ein Jahr...
Und dann kam die Zeit, in der alles besser wurde. Wo wir uns nicht mehr brauchten, wo sich alles änderte und uns auseinandertrieb. Jeden an den Rand vom Sichtfeld des anderen. Es ist gut, nur am Rand zu stehen, wenn die Katastrophe einschlägt. All das war in einer Zeit, von der wenig zurück geblieben ist. Es gibt kaum Fotos. Es gibt kaum Zitate. Es gibt seine Tagebücher, die aus losen Zetteln bestehen und seine bis auf den letzten Millimeter vollgekritzelten Hausaufgabenhefte. Doch natürlich weiß ich nicht, was aus denen geworden ist und werde sie nie zu Gesicht bekommen. Schließlich stehe ich nur am Rand.
Für die anderen ist er ein gesichtsloser Klassenkamerad. Für die alten Freunde ein Junge ohne Haare, im grünen Parka mit unterschiedlichen Knöpfen. Für die wenigen, noch älteren Freunde ist er der Junge, der die Matchboxautos auf der Weitsprungbahn aus Gummi hat fahren lassen, als wir Mädchen schon nicht mehr mit Puppen spielen durften. Und nur für mich ist er in so vielen Gedanken und Situationen, ist das Fundament, auf dem mein Humor und ein bisschen von meiner Philosophie aufbaut. Er ist da, wenn jemand "Satre" sagt, oder "Brot", er ist da, wenn jemand die Augen zusammenkneift, weil ein Vorhang gezogen wird und helles Licht in den Raum strömt. Wenn mir was passiert und ich unwillkürlich fluche, dann mit seinen Worten. Wenn ich in der Stadt an ruhigen, schönen Orten bin oder mit bunten Finelinern male - dann ist er da. Und neuerdings hat er dabei einen Anzug an.
Jetzt ist es schon mehr als zwei Jahre her - es war kurz nach den Osterferien, als wir nicht einfach nur Biologie hatten, sondern die Stimme der Lehrerin ganz tief war und alle wußten, dass was nicht stimmt, noch bevor das weinende Mädchen in die Klasse gekommen war. Wir standen nur am Rand von dem Krater die die Katastrophe in das Leben gerissen hatte, anders als für die Familie oder das schluchzende Mädchen hatten wir nicht viel verloren, nur einen der Akteure des täglichen Lebens. Die Katastrophe hatte uns die Haare versengt, wir haben die Hitze gespührt, vielleicht sind wir durch die Detonation etwas gestolpert - die Wucht des Aufpralls der Tragödie haben wir halt nicht abbekommen.
Deswegen musste es mehr als zwei Jahre dauern, auf einer Party, in einem Nebensatz fast, bis auch Nebenakteure wie ich die Frage beantwortet bekamen. Ist er gefallen oder gesprungen? "Ach der Typ", meint die Freundin aus einer anderen Stadt, einer anderen Welt, einem anderen Leben, als das Gespräch zu dem die Party längst geworden ist, auf den Tod kommt. Und erzählt, dass sie jemanden kennt, der da war. Der es gesehen hat. Gesehen, nicht gehört. Kein Schrei. Und er hat seinen einzigen Anzug getragen. Gesprungen, nicht gefallen.
Mich, vielleicht als einzige, hätte das überraschen sollen. Das ist ausgeblieben. Ausgeblieben ist auch eine wirkliche Reaktion auf die Frage, die zwei Jahre lang eine Art VIP Ausweis zu meinen Gedanken hatte. Das Rätsel ist gelöst und scheint nun gar nicht so viel zu bedeuten. Statt dessen ist mir aufgefallen, wie umbarmherzig, wie endgültig jemand verschwindet, der gestorben ist. Und wie sehr die Menschen Teil doch von uns sind. Er verschwindet, weil er nicht mehr da ist, weil seine Art, sein Humor, sein verschrobenes Stück Genie unwirklich sind, für die, die ihn nicht kennen. Irreal. Weil wir keine Freunde mehr waren, vielleicht nie gewesen sind. Wir waren nie ein Paar, wir haben nie unsere Freizeit geteilt, unsere Leben unsere Geheimnisse. Und deshalb fällt es den Menschen aus dem neuen Leben schwer, zu verstehen, wer da gestorben ist und warum das so wichtig ist und bleibt.
Wir waren zusammen darin, nicht dazuzugehören. In einer Zeit, in der unser Wort nichts galt, haben wir uns verstanden, wir haben zusammen gelacht und waren allen anderen ein Rätsel. Haben im Unterricht endlose Geschichten in Schreibhefte geschrieben, geduldig in unsere Hausaufgabenhefte gemalt und in skurrilen Wettbewerben den Inhalt unserer Federtaschen verglichen. Schon damals haben die Leute nicht begriffen, was wir füreinander waren - sogar die Lehrer hielten uns für ein Paar. Und dann fingen die anderen an, in ihm zu erkennen, was mich schon immer zu ihm gezogen hat, was mich die Finger in meiner Faust zu kreuzen verkrampfen lies, als die Lehrerin uns zusammensetzte. Yes! Was für ein Jahr...
Und dann kam die Zeit, in der alles besser wurde. Wo wir uns nicht mehr brauchten, wo sich alles änderte und uns auseinandertrieb. Jeden an den Rand vom Sichtfeld des anderen. Es ist gut, nur am Rand zu stehen, wenn die Katastrophe einschlägt. All das war in einer Zeit, von der wenig zurück geblieben ist. Es gibt kaum Fotos. Es gibt kaum Zitate. Es gibt seine Tagebücher, die aus losen Zetteln bestehen und seine bis auf den letzten Millimeter vollgekritzelten Hausaufgabenhefte. Doch natürlich weiß ich nicht, was aus denen geworden ist und werde sie nie zu Gesicht bekommen. Schließlich stehe ich nur am Rand.
Für die anderen ist er ein gesichtsloser Klassenkamerad. Für die alten Freunde ein Junge ohne Haare, im grünen Parka mit unterschiedlichen Knöpfen. Für die wenigen, noch älteren Freunde ist er der Junge, der die Matchboxautos auf der Weitsprungbahn aus Gummi hat fahren lassen, als wir Mädchen schon nicht mehr mit Puppen spielen durften. Und nur für mich ist er in so vielen Gedanken und Situationen, ist das Fundament, auf dem mein Humor und ein bisschen von meiner Philosophie aufbaut. Er ist da, wenn jemand "Satre" sagt, oder "Brot", er ist da, wenn jemand die Augen zusammenkneift, weil ein Vorhang gezogen wird und helles Licht in den Raum strömt. Wenn mir was passiert und ich unwillkürlich fluche, dann mit seinen Worten. Wenn ich in der Stadt an ruhigen, schönen Orten bin oder mit bunten Finelinern male - dann ist er da. Und neuerdings hat er dabei einen Anzug an.
Phae - 10. Dez, 00:35