Das Leben, das Universum und der ganze Rest
Vielleicht liegt es daran, dass ich ihn nicht mehr lange aushalte, diesen Zustand des Abschiednehmens. Seit einem Jahr schon weiß ich, dass es mein letztes ist, in dieser Stadt und alles, was schön ist, macht mich wehmütig, zumindest ein bisschen. Es gibt sehr viel Schönes hier.
Heute war vielleicht der letzte Abend im Lieblingsclub und er war langweilig und blöd. So viele schöne Partys, so oft Tanzflächenglück, so gute Gespräche, so gute Freunde. So verliebt. Hier habe ich mich zu Hause gefühlt, als das in meiner neuen Wohnung noch nicht ging.
Und heute tat es mir kein bisschen leid, dass es vielleicht das letzte Mal ist. Zu klein ist er mir ja schon lange und schön war er nie. Und die Musik, hab ich gedacht. Immer das selbe. Fast wie eine CD. Die Menschen - eigentlich sympathischer als im Rest der Stadt, weil irgendwie wie ich - sind mir auf die Nerven gegangen. Partyvolk ist auch nicht mein liebstes.
Kurz: heute Abend war es gut, bald weg zu sein. Ich will neues. Ich will nicht mehr Abschied nehmen, ich kann nicht mehr. Ich will lieber zurückdenken. Mit drei Mitbewohnerinen und dreimal dem "Ist ja bald vorbei, das" Gedenke weiß ich jetzt, dass man, wenn etwas zu Ende geht, das Gefühl bekommt, dafür werde es allerhöchste Zeit. Außer in Beziehungen vielleicht, da könnte man das höchstens im Nachhinein sagen, vorher geht ja nicht.
Und doch bleibt die Angst vor dem, was so sehr fehlen wird. Es ist so viel.
Er hat mich Süße genannt.
Das Mädchen hat rote Haare und wäre der Tenor von ihrer Quirligkeit nicht so begeistert gewesen, ich weiß nicht, ob ich sie nachhaltig wahrgenommen hätte. Sie ist aufgeweckt und lebhaft und chaotisch, unstet und unorganisiert, dagegen bin ich Miss Durchgeplant. Es gibt nicht viele Menschen, neben denen ich so übersichtlich und durchstrukturiert aussehe.
(Dazu ein Dialog mit I, Freundin und Komilitonin.
I.: Gibt es eigentlich einen roten Faden in Deinem Leben? Irgendeinen?
Phae: Ja. Mich.
I.: Das ist kein roter Faden, Phae. Das ist Blut.)
Das rothaarige Mädchen, Miss Chaos, hat ein Daumenkino, das sie immer mit sich herumträgt. Ein Exfreund hat es ihr gebastelt, aus vielen, gelben Post-Its. Darauf sind sie und er, beide Strichmännchen. Die Handlung besteht daraus, dass sie aufeinander zulaufen und sich küssen, ein Herz steigt auf. Das witzige ist, dass sie beim Laufen einen Salto macht. Ich kenne diesen jungen Mann nicht, bewundere ihn aber. Das ist eine unglaublich treffende Charakterisierung ihrer Person, soweit ich das beurteilen kann. Pointiert auf kleinen, gelben Post-Its.
Gestern wollte ich mit I. einen Nachtspaziergang machen. Wir hatten einen Abend hinter uns, mit DVDs von den Gilmore Girls und ganz vielen Süßigkeiten. (Lorelai wäre sehr stolz auf uns gewesen.) Ich musste nach Hause, I. nochmal hinaus. Nachtspaziergang eben. Aus dem Nichts ist A., die kleine rothaarige Miss Chaos aufgetaucht und hat uns begleitet. Auf einem Spielplatz im Lindenpark erzählte sie uns viel aus ihrem Leben. Unter anderem von einer Nacht in Dresden, wo sie auf einem Mittelaltermarkt gearbeitet hat.
Sie schlief mit Bekannten in einem alten Fabrikgelände, die Toiletten waren außen. Sie musste diese Nachts aufsuchen und auf dem Rückweg war das Licht ausgegangen. Ganz habe ich die Umstände nicht verstanden, aber A. war draußen, das Licht aus, der Rückweg war dunkel und gruselig. "Da bin ich die ganze Nacht draußen geblieben. Ich habe gewartet bis es um sechs war und einigermaßen hell. Dann bin ich zurück gegangen." Wir lachen, ungläubig. "Was hast Du in der Zeit gemacht?", frage ich. "Geweint", sagt sie leise. "Aber wegen was anderem."
Dann bin ich nach Hause gefahren.
Zeichnen - das darf ich nie vergessen - tut mir so gut.
Es ist früher Abend, die letzten Sonnenstrahlen des August tauchen die geliebte Stadt in goldenes Licht, ich sitze auf der Bank im Park und will eigentlich für die Uni lesen. Wenn da dieser Brunnen nicht wäre. Mein Brunnen, mit den vielen Erinnerungen, den vielen Geschichten. Dieser einen Geschichte.
Das Licht ist golden, ein bisschen Laub tanzt und ich kann mich nicht auf mein Buch konzentrieren, das zu allem Überfluss von Liebe handelt - auf eine staubtrockene, wissenschaftlich-theoretische Weise, dass einem das Kot dass man gar nicht anders kann, als mit den Gedanken abzuschweifen. Der Brunnen plätschert, der Park ist so schön, das Herz wird ein bisschen schwer.
Das ist auch gar nicht schwer, dieser Tage, das tut es ständig. Seit einem Jahr schon lebe ich in einem wehmütigen Zustand des Abschiedes, von meiner Stadt und ihren liebgewonnen Menschen - und jetzt wird es ernst. "Was man liebt, liebt man mit dem Schmerz des Abschiedes." Ich weiß nicht mehr, woher ich das hab, aber es ist so wahr und diese Zeilen begleiten mich in diesen Wochen als Lebensgefühl. Wenn dann das Licht schön ist und der Brunnen plätschert, dann wird man schon mal komisch.
Zum Glück war das Buch dann aus und ich frei. Ich wollte gerade nach Hause, da hat mich die Marienkirche, die wuchtige Kathedrale der Stadt, so angegrinst. Können Kirchen grinsen? Ich hatte mein Skizzenbuch dabei und einen Kugelschreiber. Meine Versuche, ein Mensch zu sein, der sowas immer dabei hat, haben Früchte getragen. Es macht glücklich, Kathedralen zu zeichnen, vor allem diese. Beim Zeichnen sieht man die Dinge ganz anders, man vergisst sich und die Welt, man fließt so dahin, es ist ein bisschen wie meditieren und dann ist man fertig und hat ein schönes Bild und ist stolz, glücklich und wie von innen saubergemacht.
Und das vergesse ich regelmäßig, um es dann wiederzufinden. Wenn ich es gerade dringend brauche. Toll.
verschicken einem Nachts erfreuliche Simpsons-Zitate. Ich leite meins mal weiter.
"Homer, ich habe jemanden gefunden, der dir helfen kann!"
"Batman?"
"Nein, er ist Wissenschaftler."
"Batman ist Wissenschaftler."
"Es ist aber nicht Batman!"
Dieser Sommer war ganz schön voll, bis jetzt. Englandreise, zwei Festivals (ein kleines und ein
großes) und eine aufregende Reise in die wunderbare Welt des Ruhmes mit den großartigen Freunden des gemeinsamen Gesangs. Jetzt bin ich wieder zu Hause und nutze den Rest diesen Sommers, um mich auf die Verteidigung meiner Abschlussarbeit und den darauf folgenden Lebensabschnitt vorzubereiten. Noch ein Abenteuer: Endlich geht es nach Frankreich!
Die Katze nervt. Sie beißt und kratzt und ein "Biff! Verdammt! ... Scheißvieh!" klingt hin und wieder aus dem Nebenzimmer. Eben aber wollte das Gefluche gar nicht mehr aufhören, der Kater fauchte und es ging drunter und drüber.
Es stellt sich raus: Er hat eine Fledermaus gefangen. Seit Investition in eine Leiter darf der Kater tasüber auf dem Dach spielen und heute hat er Beute gemacht.
Ich mag Fledermäuse sehr und es tut mir leid, dass wir das kleine Pelzgeschöpf trotz hohem Engagement meiner Mitbewohnerin (schütteln, schimpfen, Wasser auf der Katze auskippen) nicht retten konnten. Aber ein bisschen bin ich auch stolz auf den Fellfreund. Ich hatte bezweifelt dass der Domnestizierte überhaupt noch was fangen könnte und siehe da, er kriegt sogar was, was fliegt.
Und zur Belohnung ist er nun nass und verwirrt. Der Arme. Die Mitbewohnerin muss sich auch erst langsam wider beruhigen. Sie mag Tiere. So sehr, dass sie den Kater wütend angeschrien hat, vorhin. "Fledermäuse stehen doch unter Naturschutz!
Ich wollte mir mal ein T-Shirt drucken lassen, auf dem steht: "Ihr beide solltet einfach mal darüber reden. Echt jetzt." Das ist genau das, was ich fast immer sage, wenn irgendwer Probleme hat: Lehrerelternfreund. Oder mit Mitbewohnern, selbstredend. Ich entschuldige mich schon dafür, immer das gleiche zu sagen, aber es ist eben wirklich immer das naheliegenste, wirksamste. Seid ehrlich und redet darüber! Wehrt Euch, sprecht es an, findet raus, was der andere sich dabei denkt. Irgendwie ist das immer der Schlüssel, die Lösung auf alle Probleme. (Und wenn sie es nicht ist, werde ich das nie erfahren, weil die Menschen das ja so ungern tun. Bevor sie zu ihrem Lehrernelternchefs gehen, beschweren sie sich lieber bei Menschen wie mir.)
Ich selbst fahre mit dieser Methode - so ich denn den Mut finde, sie anzuwenden - ziemlich gut und weit. Bis... ja, bis jetzt.
Mein T-Shirt und ich scheitern da wiederholt an einem Problem, an dem das mit dem ehrlichen Reden, dem Konfrontieren nicht hilft. Glauben wir.
Da ist dieser dicke Junge, den keiner mag. Wenn man genau hinsieht, hat das nichts mit seinem Aussehn zu tun, auch wenn er das wahrscheinlich denkt. Sondern mit seinem Verhalten: er nervt. Er nervt alle und immerzu, es wird beständig schlimmer. Er ist laut, will lustig sein, versagt grandios, er hält sich nicht an die Grenze des persönlichen Freiraums, überschreitet sie permanent, piekst und stubst in einer Tour, ist aufdringlich und unangenehm. Es ist ein Teufelskreis: er verhält sich so, weil er unsicher ist, er kann nicht anders, er weiß nicht, wie man es besser hinkriegt, das mit dem Beliebt- oder Akzeptiert sein. Dass er durch sein Verhalten allen auf den Geist geht, kann er nicht sehen, dass sie deswegen so genervt sind, versteht er nicht. Doch er merkt, dass sie es sind, was ihn verunsichert und lauter macht, verzweifelter.
Die Spirale zieht ihn und uns nach unten und ist bald am Ende angekommen. Es ist durchgedrungen zu ihm, das ich ihn nicht mag. Das ist der Beweis, darauf hat er gewartet. Grund genug für ihn, die Gemeinschaft zu verlassen, die ihm aber so wichtig ist. Keiner möge ihn dort, hat er einem Freund erklärt, die Zeit sei gekommen zu gehn. Und ich fühl mich schlecht.
"Hör mal J., es ist nicht wirklich so, dass niemand dich mag. Du gehst nur allen so auf die Nerven, dein Verhalten ist furchtbar und aufdringlich, deine Witze sind schlecht. Hör auf, unsere Aufmerksamkeit zu erzwingen, hör auf Harmonie erkämpfen zu wollen, sei nicht mehr laut, sei nicht mehr peinlich, halt für eine Weile den Mund und bitte gewöhn Dir wieder ab, diese geschwollenen Satzberge zu konstruieren, Du lebst nun mal nicht im lyrischen Mittelalter und das hier ist kein Rollenspiel. Dann darfst Du auch bleiben und dazugehören, dann wirst Du akzeptiert und nicht nur geduldet. Und keiner verdreht mehr die Augen, wenn Du was sagt, versprochen. Halt einfach eine Weile den Mund und guck den coolen Kids zu, wie sie es anstellen, gemocht und angelacht zu werden. Okay?"
Das ist theoretisch die Sorte Ehrlichkeit, die ich für geeignet halte, die Welt zu verbessern. In allen Fällen, außer diesem: wenn ein Mensch nervt. Und das passiert in meiner Erfahrung gar nicht so selten: Menschen, die aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden, weil sie es nicht schaffen, hineinzugehören. Hlft man denen mit konstruktiver Kritik? Es ist hart, aber ist es nicht eine Chance, etwas zu verändern und zu lernen? Ist es nicht hilfreicher und somit fairer, als die Augen zu verdrehen und den anderen bedeutungsvolle Blicke zuzuwerfen - bis der Außenseiter endlich kapituliert und geht, zurück in seine Internetwelt der Nerds und Horste?
Hat jemand ein T-Shirt, auf dem steht, was ich machen soll?
Aus dem Nichts ist sie aufgetaucht, die Lust auf ein paar Stunden Computerspiel. Neverwinter Nights, oder so. Ausgerechnet jetzt, wo ich bei meinen Eltern bin. Mist.
Kennt nicht zufällig jemand irgendwelche Online-Alternativen, oder?
Der England Urlaub ist vorbei.
Gegen Ende der Zeit der Pauschalurlaube mit meinen Eltern habe ich gedacht, dass Rucksacktourismus die für mich perfekte Art ist, Urlaub zu machen und fremde Länder kennenzulernen. Denke ich auch immer noch. Mitlerweile ist diese Einstellung aber durch die Erkenntnis bereichert, dass Rucksacktourismus und Roadtrips anstrengend sind - und das allgemein verachtete Am-Pool-liegen-und-nichts-tun zwar kulturell anspruchslose, aber ganz verlockende Elemente des Urlaubskonzeptes sind. Uff.
Bevor es zurück in die Hansestadt geht, fahre ich noch zu einem Mini-Festival, wo ich beabsichtige, genau das nachzuholen: auf der Wiese liegen und nichts tun. Außer vielleicht, die Cosmopolitain zu lesen, die ich am Flughafen für mein vorletztes britsiches Geld zu kaufen. Das wird ein Spaß.
Das letzte Geld haben wir im "Marks&Spencer - Simply Food" ausgegeben - für Sushi.