Es ist so gemein. Die Schokolade, auf die ich mich den ganzen Abend gefreut habe, ist verschwunden. Einfach weg. Nur der Streukäse, der in der gleichen Tüte war, ist noch da und verhöhnt mich. Er beweist nämlich, dass O. die Tüte sehr wohl hier gelassen hat und nicht mitgenommen und dass auch die Schokolade noch hier sein müsste. Ist sie aber nicht, die ganze, winzigkleine Wohnung hab ich abgesucht. Ich hab sogar versucht, die Katze zum Suchen zu kriegen. Hat nicht geklappt.
Die Mitbewohnerin T. ist auch keine große Hilfe. Sie ist ahnungslos und weiß gar nicht, welche Schokolade ich meine. Das macht sie so gut, dass in mir ein schrecklicher Verdacht aufkommt, für den ich mich sofort schäme und den ich natürlich nicht andeute. Statt dessen überspiele ich ihn, wenn auch laienhaft. "Wo hab ich die denn nur hingetan?"
Hilft alles nichts. Keine Schoki. Entweder ich wurde beklaut, oder es spukt. So oder so, der Abend ist gelaufen.
Als ich das Etikett "Pistazienschalen", das ich eben beschriftet habe, auf den kleineFilmdose klebe, freue ich mich über die Erweiterung meiner Sammlung. In der Kneipe, hat der neue, aber sehr extrovertierte, laute Junge eine Tupperdose mit Pistazien herumgereicht. Die Freunde sind aufgeschlossen und freundlich, wir freuen uns über Neue und heißen sie bei uns willkommen, der hier war aber schnell bei fast allen heimlich unbeliebt, weil zu laut und zu... doll. Ich frage mich, ob er das spührt und deshalb Pistazien herumgehen lässt. Für Mobbing in seinen subtilsten Ausprägungen bin ich sensibel geworden, und beobachte es genau. An anderen und an mir selbst.
Pistazien. Könnte man auch Ohrringe draus basteln, dachte ich. Oder Halsketten, Armbänder, irgendwelchen Schmuck. Sie sehen fast so aus, wie Muscheln, welche ich sehr mag, die mir aber immer ein bisschen schlechtes Gewissen machen, wenn sie an den Schmuckständen hängen. Werden Muschelbestände durch diese Schmuckinstustrie eigentlich irgendwie gefärdet? Ich habe die Schalen behalten und mit H. eine Diskussion über Mädchen und die Sinnlosigkeit von Schmuck angefangen.
Jetzt bin ich zu Hause, habe die Schalen abgefüllt und beschriftet... und muss unwillkürlich an
diese Webseite denken. Messis haben den Wunsch, ein perfektes Archiv aufzubauen. Damit fängt es an. In meinem Zimmer: Kartons mit Bildern aus Zeitschriften, die ich schön fand und verbasteln möchte, wenn ich mal wieder Karten, Briefe oder Geschenke verschicke. Eine Perlen- und Schmucksachensammlung, die beständig wächst. Schluck. Ich muss wirklich ein bisschen auf mich aufpassen. Aber noch habe ich ein System für meine Güter, noch bin ich kein Messi.
Einmal war ich auch bei meiner Philosophielehrerin zu Hause und habe ihr Büro gesehen. Es lag zwischen dachschrägen Wänden im Obergeschoss ihres Holzhauses und war voller Regale. Darin standen Ordner, die mit Dingen wie "Zeit", "der Tod", "Liebe", "Glück" und "Sehnsucht" beschriftet waren. Es sah aus, wie der Arbeitsplatz von Gott.
Irgendwo in St. Pauli war auf einmal dieser Flohmarkt und auf dem Flohmarkt, da war diese wirklich hübsche Brosche. Kein Verkäufer zu sehen, so konnte der Tenor mir gute Ratschläge geben, ohne die Stimme senken zu müssen: "Wenn sie Dir gefällt, dann frag doch nach dem Preis. Aber denk dran, du musst feilschen."
Ich liebe Flohmärkte.
Ich hasse Feilschen.
Ich hab dann immer ein schlechtes Gewissen, weil ich mir noch nie wirklich Sorgen wegen Geld machen musste und davon ausgehe, dass der Verkäufer viel ärmer dran ist als ich, dass ich ihn und meine Kinderschule beleidige mit dem niedrigen Preis, den ich fordere, und dass ich mich als verwöhnte Anhängerin der Diskount-Kultur oute, die eine ordentliche Wirtschaft langsam den Bach runterreißt und die ich eigentlich gar nicht leiden kann. (Aus soziologischer Sicht. In echt bin ich mir nicht zu schade für Diskounts. Hey, ich bin Student.) Mein Feilschstrategie besteht also hauptsächlich aus Zögern und Murmeln, dass Mathe nicht soo mein Ding ist, ist da zusätzlich nicht hilfreich.
Die Verkäuferin kam also und die Show begann. Sie fing bei 10 an, am Ende bezahlte ich 8 - für mich ein echter Erfolg. Schlecht fühlte ich mich trotzdem. "Sie ist 5 wert, oder?", zischte ich dem Tenor zu, als wir zu anderen Ständen weitergingen. Dass die Verkäuferin auch hinterher noch so nett zu mir war, war ein schlechtes Zeichen - theoretisch weiß ich viel über das Feilschen.
Abends auf der Couch. Das Gespräch kommt zu dem Handel zurück. Der Tenor, der zugibt, es gar nicht besser zu können, als ich, analysiert meine Fehler. Ich liege neben ihm auf der Couch und wiederhole: "Ich hasse Feilschen. Ich hasse Feilschen."
Der Tenor: Hast Du ein schlechtes Gewissen, weil Du sie ausgebeutet hast und sie heute kein Abenbrot hat, oder weil Du viel mehr für die Brosche bezahlt hast, als sie tatsächlich wert war?"
Phae: (kläglich) Beides.
Zufrieden gewesen und gedacht, dass man sehr gut auch mal "Super süß und super sexy" gucken kann, ab und zu ist Hollywood-Mädchenkitsch okay. Und dann gemerkt, dass ich nicht nur "den Untergang" (hhhhhmmrf), sondern auch "Mein Nachbar Totoro" (aaaargh!) verpasst habe. Verdammt!
(Aber in der Werbung hat sich der Tenor in den Katzenbus verliebt und jetzt leihen wir ihn uns bestimmt nächstes Wochenende aus. Danke, Grinsekatze.)
Edit, 5 Minuten später: Der Tenor kommt rein, kommt angekuschelt und guckt mir über die Schulter, erfreut entgeistert: "Wir leihen uns den Katzenbus aus?!"
Der Tenor ist nun ein Hamburger geworden (und solange er zu faul ist, sich einen neuen Chor zu suchen, ist er eigentlich auch kein Tenor mehr) und ich muss fortan nicht nur zwischen unseren Städten hin und her pendeln, sondern auch noch ständig allen Menschen - Familie, Freunden, völlig Fremden in der Mitfahrgelegenheit - erzählen, wie es mir damit geht. Was fast das unangenehmste unserer neuen Fernbeziehung ist.
Ich sage ihnen dann, dass ich bis jetzt noch recht gut damit klarkomme, Hamburg ist ja nicht (urks) "aus der Welt" (schließlich will ich für ein Jahr ins Exil, fragt
dann nochmal), dass ich mich ganz gut mit meinen, nun freien, Abenden unter der Woche arrangieren kann und dass ich mich freue, Hamburg an vielen schönen Wochenenden für mich zu entdecken.
Das Eingewöhnen in dieser Stadt fällt mir allerdings noch ein wenig schwer. Habe ich doch gerade erst meine Begeisterung für Berlin entdeckt, scheine ich hier in Hamburg nun ein wenig zu fremdeln. Das finde ich komisch, früher kamen mir beide Städte sehr ähnlich vor: Unübersichtlich riesig, viele sehr große Häuser, viel zu kaufen. Und nun ist Berlin schön und toll und Hamburg nicht. Nicht Berlin, in erster Linie, das stoppt die Begeisterung und nur sehr langsam will es in mein Herz.
Aber ich bin guter Dinge. Dieses Wochenende gehört dem Tenor und mir und der Stadt, ich bin jetzt schon hier, sitze auf seinem Sofa zwischen jeder Menge IKEA Frischholz und habe neben mir einen Haufen Soziologiewälzer und den "Neustädter" liegen, dem ich gute Ratschläge für die nächsten Tage hier zu entlocken gedenke.
Nachher geht es mit dem Tenor, der gerade fleißig arbeitet, in die Altonaer Fußgängerzone, zum Mittag essen. Heute scheit sogar (für mich zum ersten Mal hier) die Sonne und es wird bestimmt schön.
Des weiteren möchte ich einen Aufruf an Euch starten, meine geliebten, zahllosen Leser: Was ist toll in Hamburg? Was sollen wir uns angucken? Wohin sollen wir gehen? Ich freue mich über jegdliche Hinweise und Diskussionen über die Licht-und Schattenseiten von Hamburg, Berlin und anderen Städten, Döfern, Kibuzen. (Wohl wissend, dass solche Aufrufe zu öffentlicher Beteiligung oft sehr peinlich aussehen, wenn sie von keinen oder nur wenigen Kommentaren geschmückt werden. Naja, ich kann dann ja einfach so tun, als hätte ich tonnenweise
Mails bekommen.)
Mein Hochschulsport in diesem Semester ist eigentlich eher für alte Frauen und etwas peinlich. Aber er macht viel Spaß, ist gut für meine eigenwilligen Knie und man sieht viele Mädchen im Bikini. Letzteres verwundert mich, warum zieht das nicht eine Menge Jungs an? Sollten sie ein Phantasieprodukt von Fernsehfilmdrehbuchautoren sein, die Sorte Mann, die jeden Scheiß mitmacht, um Frauen kennenzulernen? Ich frag ja nur...
Ich verbringe jetzt also noch mehr Zeit im Schwimmbad. Neulich, beim normalen Hin- und Herschwimmen habe ich da eine seeehr dicke Frau gesehen, die zu meinem Erschrecken Anstalten machte, einen Kopfsprung in meiner Nähe zu wagen. Hat sie dann auch. Zu meinem Erstaunen hat es fast gar nicht gespritzt - sie ist einfach so ins Wasser geflutscht. Superelegant.
Es ist spät in der Bar. Ich sitze nicht mehr, sondern hänge schon längst in einem der bequemen Sessel, weil keiner mehr da ist, der Anstoß daran nehmen könnte. Von den vielen Freunden sind schon fast alle gegangen, außer mir und S. sind nur M. und A. noch da. Aber die sitzen nicht bei uns, sondern in einer anderen Nische der Sofalandschaft und reden leise miteinander. Sie sitzen so nahe zusammen, dass ich kurz überlege, ob sich da was anbahnt und versuche, meine Aufmerksamkeit nicht bemerkbar werden zu lassen, um sie nicht in Verlegenheit zu bringen.
Zurück zum Gespräch mit S. S. hat lange schwarze Haare und trägt dunkle Band Shirts von Metal Bands mit lustigen Logos. Cool lustig, nicht so wie die T Shirts, die man im Nanu Nana kaufen kann. Sieben Bier sind für ihn nicht viel, was man ihm langsam ansieht und er wird mal ein ausgezeichneter Mathelehrer, weil er nicht nur so gut erklären kann, sondern auch viel besser fluchen als seine Schüler. Sie werden ihn lieben und ich will, dass mein Kind mal in seine Klasse geht. Außerdem will ich mit ihm auf Klassenfahrt fahren, wenn es mal soweit ist. Er sagt, ich solle mich hinten anstellen. Neben Mathe hat S. viele Talente. Er ist unglaublich lustig, ist bemerkenswert sattelfest in umfassenden Zitaten von allem, was er je sah und hörte und er bringt es regelmäßig fertig, sich von Wildfremden auf der Straße grundlos zusammenschlagen zu lassen. Außerdem liebt er sowohl richtig gute, als auch richtig schlechte Filme (von der Sorte "Zombiepiratenemanzen vs. Nazivampirdinosaurier im Weltall" Teil 1 bis 6 - er kennt sie alle)
Wir liegen also in den Kuschelsesseln der Stammkneipe und reden. Über die Sinnlosig- versus Zweckhaftigkeit von Horoskopen und dem Muttertag (als Soziologin vertrete ich natürlich die Ansicht, dass alles eine soziale Funktion hat, sonst würde es nicht existieren), wir reden über Blumen und die Bedeutung derselben für Männer und Frauen. (Als Frau vertrete ich natürlich die Ansicht, dass ... wisst schon.) Da sagt er etwas sehr schönes, was ich hier eigentlich erzählen wollte. Er will mir zeigen, dass ein Strauß Blumen, an einem bestimmten Tag scheiße ist und nicht von Herzen kommt und erzählt, dass er mal in ein Mädchen sehr verliebt war und ihr, als spontanen Ausdruck seiner Gefühle eine Brennessel vom Wegesrand geschenkt hat.
Ich kenne S. seit zwei Jahren - dies war das erste Mal, dass er über ein Mädchen aus seiner Vergangenheit gesprochen hat.
"Ich muss sagen, dass" ist meistens eine Redewendung, nach der etwas kommt, was derjenige auch getrost hätte für sich behalten können, ohne dass das Gespräch was verliert.
Gestern endlich über meinen Schatten gesprungen und mal die Menschen zu mir zum Filmeabend eingeladen. (Dagegen spricht, dass alles winzig klein, Katzenkrallengefärdet ist und vorher wirklich was passieren muss.) Es ist dann passiert, was abzusehen war: einiges beim Kochen ging schief: (viiiel zu viele Nudeln, wann lerne ich endlich, Mengen realistisch abzuschätzen? [Das gilt auch - nur umgekehrt für das Nudelwasser.] Und die Zwiebeln, die ich ja "noch jede Menge auf Vorrat hab", hatten auf einmal Beine bekommen und waren bis auf Ausnahmen nicht genießbar. Außerdem sind irgendwie Katzenhaare an die Tomaten gekommen.) und der Abend wurde echt schön. Man soll ja als Gastgeber Freunde einladen, die sich nicht kennen. Das hat auch ganz gut geklappt, trotz einiger sprachtechnischer Anfangsschwierigkeiten. Lieblingsfranzösin O. spricht kein Deutsch und S., den angehende Mathelehrer, überraschte die Erkenntnis, dass er seit nunmehr sieben Jahren kein Englisch gesprochen hatte. Mich hingegen die, dass ich mich immer noch wie ein kleines Kind auf Fremndsprachenerlebnisse freue und wahrscheinlich, sollte ich dieses Auslandsjahr je hinkriegen, mich vor lauter Endorphinen gar nicht mehr einbekomme.
Zum leckeren Essen (Spagetti mit Pfirsich-Ingwer Sauce und Cappuchinoeis mit Schokosirup) gab es als Film einen echten Geheimtipp, den L. in Kanada ans Herz gelegt bekommen hatte: Eulogy. Eine, etwas schwärzliche, Familienkomödie, zu der ich eigentlich gar nichts sagen möchte, weil sie einfach nur schön und lustig war - das dafür aber außergewöhnlich.
Wenn ich mir noch einmal dieses Geseiere über Moralverfall oder die Jugend von heute anhören muss! Allein schon beim Wort "heutzutage" schüttelt es mich, weil danach meistens irgendwelchen Allgemeinplätze folgen, die schon seit mindestens 2000 Jahren gültig sind. "Heutzutage hat ja niemand mehr Respekt voreinander." "Heutzutage denkt ja jeder nur an sich." Buuuuar! Genau wie diese alte Frau im Fernsehen. Die Kriminalitätsrate sei in den letzten Jahren stark gesunken, sagt die Frau von den Nachrichten, viel weniger Verbrechen, weniger Opfer und so. Ob die Leute das auch so empfinden würden?, fragt sie und die Kamera zeigt irgendwelche Passanten: kopfschüttelnde alte Frauen. "Nein nein, diese Jugendlichen, viiiiel schlimmer als früher, überall viel mehr Gewalt, auf jeden Fall."
Warum wollen die Menschen unbedingt in so einer schlechten Welt leben? Ich weiß natürlich, dass pöbelnde Jugendliche mitunter ein echtes Problem werden und das allgemeine Wohlbefinden erheblich senken können, aber davon kracht doch nicht in der nächsten Generation unsere Gesellschaft zusammen, wie es gerne prognostiziert wird. Wenn ich mich in meiner realen Welt mal umsehe, okay, dann finde ich auch Drogenkonsum und Gewalt. Aber ich sehe vorgergründig Menschen, die ihre gesamte Freizeit in Tierheimen verbringen und dort aushelfen, Menschen, die sich im Studium den Arsch aufreißen, um mal in die Entwicklungshilfe zu gehen. Menschen, die für ihre Freunde alles und für ihre Mitmenschen unheimlich viel tun und nicht zuletzt: wildfremde Menschen die mich auf der Straße anlächeln. An Ampeln, auf Bürgersteigen, in Straßenbahnen. Wo ist sie also, eure graue, unmenschliche Großstadtwelt? Alles, was man tun muss ist doch, zuerst zu lächeln. Vielleicht fangt ihr damit erst mal an, ihr Nörgler.
Ich habe noch gar nicht erzählt, dass mein Exfreund, der es hier nie zu einem kreativeren Spitznamen als "Fka" gebracht hat, zurück in meinem Leben ist. Seit der Trennung auf einem verschneiten Rostocker Hinterhof haben wir fast zwei Jahre lang im gleichen Viertel gewohnt, aber kein Wort miteinander gewechselt. Dann hat eine gemeinsame Freundin eine Party gegeben und uns beide eingeladen. Zack. So einfach geht das.
Der Abend davor, die S-Bahn Fahrt, das war schon ein bisschen merkwürdig. Aber dann war er da und ich war da und eine Freundin war da und dazu kam ein Grinsen und der Abend wurde nett. An diesem Abend wurde, so schien es mir, nicht nur eine Menge angestautes Eis, sondern auch eine Art Fluch gebrochen.
Aus der realen Person Fka war in den letzten Jahren ein Phantom, ein Schatten geworden. Eine Menge Grübellei und Erinnerungen haben etwas geschaffen, was mit dem Menschen überhapt nichts mehr zu tun hatte, das nicht lebendig war, sondern in meinen Gedanken gefangen. Und ich in ihm. Den richtigen Menschen wieder vor mir zu haben, war eine Erleichterung. Ein Lächeln statt der albtraumhaften Fratze, zu der die unschönen Umstände ihn in der Erinnerung gemacht haben, Wiedersehensfreude, statt dem für mich immer nachhallenden Wunsch, mich aus seinem Leben zu entfernen, und – als kleines Schmankerl - abschätzige Kommentare über Dinge, die ich mag und die in mir das beste aus dem Spektrum der „ich treffe meinen Ex wieder“ Gefühle gegeben hat: das angenehme Schulterzucken und Hinweggehen über Dinge, die früher nicht gepasst haben, jetzt aber egal sind.
Das alles ist so wichtig für mich. Wie sehr ich das gebraucht habe, ein Brechen des eisigen Schweigens, eine Versöhnung, ein minimaler Kontakt – das merke ich erst jetzt, wo die Zeit im kommunikativen Exil vorbei ist. Das Phantom ist entmystifiziert und entstaubt: kein grinsendes Ungeheuer mehr und keine tragische Gefühlsleiche – und meine Seele ist um einige Dämonen leichter.
"Irgendwie ist Alice im Wunderland das "Fear and Loathing" der englischen Literatur."
Es ist spät und ich wollte nur noch schnell vor Mitternacht eine Geburtstagsmail abschicken und dann aber ab ins Bett. Und jetzt sitze ich hier und diskutiere mit einem Freund über Alice im Wunderland.
Ich war nämlich vorhin bei selbigem Stück im Theater und es hat mir gefallen. In Rostock ist diese Version von Alice sehr beliebt gewesen (wenn ich ins Theater gehe, ist die Spielzeit des Stückes fast immer demnächst vorbei, ich weiß auch nicht, warum) - jeder mag die junge Schauspielerin und begeistert sich für den modernen, poprockigen Soundtrack mit dem es unterlegt ist. Ich hab mich vor allem für die Kostüme begeistert. Ich wäre auch gerne Kostümbastlerin beim Theater. Es gab einen Frosch, der ganz klein und pummelig war, Humpty Dumpty, das Ei, bestand aus zwei Menschen und war sehr dick, der riesige Mund der Grinsekatze war gigantisch und und wie cool das weiße Kanninchen ausgesehen hat, kann man sich bestimmt leicht vorstellen. Es ist sicherlich kein Geniestreich, dem weißen Kaninchen die witzigsten Textstellen zu geben, es genial böse gucken und super witzig tanzen zu lassen - aber es funktioniert ganz hervorragend und zeigt große Wirkung.
Die Grinsekatze und das Kaninchen sind sowieso meine Lieblingsfiguren und faszinieren mich. Warum, kann ich gar nicht sagen. Sie werden so oft als Symbole adaptiert und ich habe bis heute nicht rausgefunden, was sie eigentlich bedeuten. Wenn sie etwas bedeuten, das ist ja immer sehr verwirrend alles. Vor allem die Katze...
Sehr gefallen hat mir auch das Pferd, oder, wie es in der Rollenbeschreibung heißt: der weiße Ritter. Der war so schön melancholisch.
Was ich nicht mag, generell im Theater, ist diese.. Hektik auf der Bühne. Die Übertreibungen. Wenn die Bewegungen zu doll sind, wenn es Slapstick wird. Wenn gegen Wände gelaufen und gefallen wird, wenn die Darsteller aneinander herumzerren, sinnlos umherrennen, permanent zu Boden fallen. Davon gab es viel in dem Stück, aber ja auch im Theater, generell.
Unterm Strich hat es mir aber sehr gut gefallen. "Alice im Wunderland ist eine Mischung aus psychischer Störung, Gesellschaftskritik und Kindheit", haben wir in der Pause beschlossen. Mit dieser Interpretation für Eilige bin ich eigentlich recht zufrieden, das Gefühl, die Geschichte nicht so richtig zu verstehen, bleibt aber. Wahrscheinlich soll das auch so.
Ich versteh manchmal gar nicht, warum nicht alle sind, wie ich. Wenn wir in diesem turmgleichen Gebäude Seminar haben, beispielsweise. Wie kann es denn sein, dass ich von 20 Mädchen die einzige bin, die den Blick über die Stadt genießt, die Aussicht auf die Kirchtürme und blühenden Bäume, auf den Nebel, der von den Wiesen aufsteigt und die milchige Sonne, die sich verschlafen über alledem hochzieht? Dass ich die einizige bin, die sich einen Platz sucht, von dem aus sie ab und zu hinaussehen kann? Die einen Moment am Fenster stehen bleibt?
Ich kann mir nicht helfen... irgendwie sind alle anderen Menschen komisch.